13.04.2024 - 14:30

Die Ernährung der Pfahlbaubewohner:innen am Keutschacher See

Unterwegs in Terra Incognita - Ein Interview mit Timothy Taylor zum Forschungsprojekt BELAVI

5. Januar 2017

Am Forschungsprojekt „Beyond Lake Villages“  (BELAVI) wirken gleich drei Nationen mit. Neben Österreich sind daran auch Deutschland und die Schweiz beteiligt. Im Interview mit Tim Taylor (TT) hatte ich Gelegenheit, etwas mehr über die Hintergründe der Forschungen zu erfahren.

CL: Tim, du leitest das Projekt BELAVI in Österreich. Werden eure Ergebnisse unser Verständnis der Pfahlbauten revolutionieren?
TT: Das wäre großartig, aber BELAVI ist ja nur ein Teil einer ganzen Reihe von Forschungsinitiativen, von denen viele im Zusammenhang mit der Landesausstellung Pfahlbauten 2020 stehen. Im Rahmen dieser Landesausstellung bin ich als Senior Scientific Advisor involviert, d.h. ich stehe den wissenschaftlichen Leitern Jutta Leskovar vom Oberösterreichischen Landesmuseum und Cyril Dworsky vom Kuratorium Pfahlbauten als engster Ratgeber zur Seite. Wir arbeiten auch sonst intensiv zusammen, weil wir die Pfahlbauforschung in Österreich endlich voran bringen wollen. In der Vergangenheit hatte es im Österreich nur wenige Forschungsinitiativen (Über eine von diesen berichtete Walpurga Antl-Weiser hier in unserem Blog)  gegeben. Erst seit 2011, mit der Verleihung des Welterbestatus an fünf der österreichischen Pfahlbausiedlungen, ist das anders. Nun, zum Beispiel mit dem Forschungsprojekt „Zeitensprung“ von Jutta Leskovar und Cyril Dworsky, können wir die Unterwasser-Archäologie hierzulande neu etablieren.

CL: Bist du zufrieden mit der Unterstützung, die ihr bei den Forschungen bekommt?
TT: Ja, sehr. Durch die finanziellen Mittel, die das Land Oberösterreich aufwendet, haben wir die Möglichkeit, eine neue Art der transdisziplinären Forschungsgemeinschaft zu nutzen. Oberösterreich unterstützt uns darüber hinaus auch mit LiDAR-Daten (Light Detection and Ranging). Das Ludwig Boltzmann Institut ArchPro (LBI) wird bald einen geophysischen Versuch in den Seewiesen in Mondsee machen und dann wird man sehen, ob das Terrain geeignet ist für eine Trockenlandgrabung. In den Vorbereitungen dazu hat uns auch der Heimatbund Mondseeland geholfen, sowie schon bei ähnlichen Untersuchungen die Gemeinden und Verbände in Attersee am Attersee, in Seewalchen, in St Georgen und in Lenzing, beispielsweise.
Mit den Geldern des Vienna Institute for Archaeological Science (VIAS) der Universität Wien, des LBI ArchPro und des Landes Oberösterreich haben wir zirka eine dreiviertel Million Euro für Prospektionen zur Verfügung. Wir kaufen bald ein Schiff, mit dem wir Sonar-Gesamtbathymetrien im Mondsee, im Attersee, Wolfgangersee und danach in andere Seen machen werden. So haben wir die Möglichkeit, auch unter dem Seeboden nach neuen Fundstellen zu schauen.

CL: Das Projekt BELAVI ist ja sehr international und es sind auch sehr viele Disziplinen involviert. Haben alle drei Länder in diesem Projekt den gleichen Fokus?
TT: Wir wollen alle Fortschritte darin machen, das Phänomen der Seeufersiedlungen besser zu verstehen, aber in der Tat gibt es in den einzelnen Ländern daneben auch unterschiedliche Schwerpunkte. In der Schweiz gibt es zum Beispiel eine archäologische und eine paläo-klimatologische Forschungsgruppe, letztere um Willy Tinner. Hauptleiter des Projektes ist dort Albert Haffner. In Deutschland ist das Projekt vor allem über die Hemmenhofener Forschungen angebunden. Dort wird es geleitet von Renate Ebersbach, der Nachfolgerin von Helmut Schlichtherle.

CL: Worauf genau konzentrieren sich die Forschungen in Österreich?
TT: In Österreich sind wir mit der Universität Wien beteiligt. Unsere Projektpartner hier sind vor allem die Universität Innsbruck mit Jean Nicola Haas, und das Kuratorium Pfahlbauten. Ähnlich wie in der Schweiz stehen bei uns neben der Archäologie selbst auch Umweltaspekte im Vordergrund.

CL: Was kann ich mir unter Umweltaspekten vorstellen?
TT: Grundsätzlich geht es um ein jahrgenaues Verständnis von Vegetation und deren Veränderung durch menschliche Aktivitäten durch die Zeiten hin, zumindest alles was in den letzten 10.000 Jahren passiert ist. Hauptziel  ist eine engere Verknüpfung zwischen der Umwelt und den Pfahlbaustrukturen selbst. Das ist also eher ein methodologischer und theoretischer Fokus, vom den wir ausgehen. Daher sind auch alle Begriffe und Grundideen ständig in Bearbeitung: Was heißt „Hinterland“? Was bedeutet „Fundstelle“?  Was sind „Pfahlbauten“ überhaupt?

CL: Was reizt Dich am Thema „Pfahlbauten“ besonders?
TT: Was mich am meisten interessiert ist eine diachronische Analyse. Frühere Archäologen haben sich spezialisiert auf die eine oder andere Phase. Als Leiter von VIAS versuche ich ganz bewusst größer zu denken. Wenn man zum Beispiel die heutige Zeit verstehen will, muss man auch das Mittelalter verstehen. Das geht sonst nicht. Das ist natürlich für die Stein- und Bronzezeit eine große methodologische und theoretische Herausforderung. Wir haben bislang noch keine Lösung für viele Aspekte. Wir wissen fast nichts über die Bevölkerung selbst. Es gibt ein paar Skelettfragmente - so wurde im Mondsee z. B. ein Fragment eines kindlichen Schädels gefunden. Aber wir wissen nicht, wie die Menschen zusammen lebten. Gab es ständig Gewalt zwischen Gruppen? Gab es solche Sozialstrukturen wie zum Beispiel die Sklaverei? Es ist eine Terra Incognita, die wir da erforschen. Und es ist immer wieder spannend, ob wir wirklich konkrete Daten gewinnen können.

CL: Wie stellst du dir die damalige Zeit vor?
TT: In der Schweiz ist man lange davon ausgegangen, dass die Pfahlbauten eine Art Verbindung kleinerer Seen sind. Das Hinterland hielt man für ziemlich wild. Die Pfahlbauer selbst sind nach dieser Vorstellung eine Art Urbevölkerung, die hygienisch und gesund am See gelebt hat. Man kann das aber natürlich auch umdrehen. Ich denke, es könnte zum Beispiel auch sein, dass die Pfahlbaudörfer viel mehr am Rand der gesamten Besiedlung lagen. Die vielleicht hochentwickelteren Siedlungen im Hinterland, könnten durch die intensive Landnutzung dort im Laufe der Geschichte verloren gegangen sein. Wir hätten dann einfach nur die gut konservierten Reste am Seeufer. Das ist aber nur eine von vielen Möglichkeiten, es gibt noch manche anderen Ideen.

CL: Darf man daraus folgern, dass ihr im Projekt BELAVI versucht, wirklich das ganze Bild der Landschaft damals zu erfassen?
TT: Ja, wir untersuchen zum Beispiel, wie weit man zwischen den Siedlungen geht oder wie lange man braucht mit dem Einbaum. Wir wollen eine Art "transsurface analysis" durchführen und herausfinden, wie sich bestimmte Orte nebeneinander verhalten haben könnten und wie sie mit der weiteren Region interagiert haben könnten. Wir versuchen in BELAVI die vernetzte archäologische Landschaft zu verstehen. Deshalb ist es auch so wichtig, das in Verbindung mit den sich ändernden Umweltbedingungen zu sehen.

CL: Habt ihr deshalb auch die Bohrungen in Seen und Mooren gemacht?
TT: Ja, wir haben Bohrkerne aus den Seen und Mooren gewonnen. Wir wollen damit den „landscape impact“ großflächig messen, also herausbekommen, welchen Einfluss die Siedlungen auf die Landschaft genommen haben. Das soll uns dabei helfen zu erkennen, ob das wirklich kleine Dörfer mit kleinen Lichtungen sind, die also in einer Art Urwald liegen, oder ob es nicht doch viel intensiver besiedelte Gebiete außerhalb der unmittelbaren Uferzonen gibt. Bei den ersten Proben, die wir aus dem Mondsee selbst gewonnen haben, sind wir jetzt an der palynologischen Auswertung. Da will ich noch nicht viel sagen. Aber es gibt schon Spuren von Aktivitäten, die vermutlich früher als die bisher bekannten Siedlungen im Mondsee sein könnten.

CL: Bedeutet dieser Ansatz nicht auch, dass die Menschen, die in den Pfahlbauten lebten, sehr mobil gewesen sein müssen?
TT: Davon gehe ich immer aus. Wir wissen ja schon lange, dass wir in den Pfahlbauten exotische Sachen finden. In Lenzing z.B. eine Pfeilspitze aus Bayern, vielleicht auch ein Bergkristall aus Tirol - wobei das auch ein Gletschertransport sein könnte. Ich denke zwar eher nicht, aber Denken ist ja nicht Wissen.

CL: Lenzing ist ein gutes Stichwort. Die Grabungen dort gehören zwar nicht unmittelbar zum Forschungsprojekt BELAVI, trotzdem ist es natürlich spannend und inhaltlich ja auch kaum zu trennen. Habt ihr da schon erste Ergebnisse?
TT: Nun ja, es spricht viel dafür, dass wir in Lenzing eine Siedlung haben, die um 3700 v. Chr. datiert. Das ist die klassische Zeit der Mondseekultur, der die Siedlung auch angehört. Sie liegt aber unbestreitbar auf dem trockenen Land. So etwas suchen wir auf dem Buchberg am Attersee auch. Da datiert die Hauptsiedlung, wie wir es erwartet hatten, in die späte Bronzezeit. Eine andere kleinere Festung, die jedoch ein bisschen weiter östlich liegt, könnte jedoch noch ein befestigter Sporn sein, wie wir es in Lenzing haben. Zu dieser Siedlung liegen bislang noch keine C14-Daten vor, daher können wir das noch nicht sagen. Das wird ein Teil der Forschungen des nächsten Jahres sein.

CL: Und wie lange läuft das Forschungsprojekt BELAVI noch?
TT: BELAVI dauert noch bis 2018. Der Forschungsbedarf ist aber so groß, dass wir sicher weiterhin in dieser Region tätig sein werden.

Zugehöriges Projekt

Das Projekt ist Teil eines internationalen...

Carmen Löw ist Archäologin und Kommunikationsexpertin. Im Kuratorium Pfahlbauten kümmert sie sich unter anderem um die Redaktion des Pfahlbauten-Weblogs.

Eine der Ausgrabungesstätten auf dem Buchberg. (Bild: Institut für Urgeschichte und Historische Archäologie)
Eine der Ausgrabungesstätten auf dem Buchberg. (Bild: Institut für Urgeschichte und Historische Archäologie)
Der Tag der offenen Grabung auf dem Buchberg war gut besucht. (Bild: Institut für Urgeschichte und Historische Archäologie)
Der Tag der offenen Grabung auf dem Buchberg war gut besucht. (Bild: Institut für Urgeschichte und Historische Archäologie)
Bohrungen im Mondsee. (Bild: Jakob Maurer)
Bohrungen im Mondsee. (Bild: Jakob Maurer)
Die Seewiesen in Mondsee werden demnächst vom LBI unter die Lupe genommen. (Bild: Jakob Maurer)
Die Seewiesen in Mondsee werden demnächst vom LBI unter die Lupe genommen. (Bild: Jakob Maurer)
Timothy Taylor. (Bild: Jakob Maurer)
Timothy Taylor. (Bild: Jakob Maurer)
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Kommentare

Gespeichert von Franz Hauser am

Mir gefällt der gesamtheitliche Ansatz, den Tim vertritt. Es wäre schon wunderbar, wenn wir dieser Zeit etwas näher kommen könnten.

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