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Die Kiste 40: Steinwerkzeuge von der Venus von Willendorf – FFG Talentepraktikum 2022

27. Juli 2022

In dem Keller des Naturhistorischen Museum in Wien lagern so manche Dinge. Unter anderem alte Expeditionskisten aus den Jahren 1908-09, die von einer damaligen Grabung der Archäologen Josef Szombathy, Josef Bayer und Hugo Obermaier stammen. Michael und ich durften im Zuge unseres Praktikums die Kiste 40 öffnen. In der Kiste waren Steinartefakte der Grabung Willendorf II. Die Funde stammen aus der gleichen Schicht wie auch die Venus von Willendorf, nämlich die Schicht 9. In der Archäologie sagt man: „In der Regel gilt: eine Schicht = gleiches Alter.“ In unserem Fall also 30.000 Jahre.

 

Nun zum Inhalt der angesprochenen Kiste 40: In der alten Holzkiste befanden sich 202 von Menschen gefertigte oder bearbeitete Steinobjekte aus der Altsteinzeit, so genannte Artefakte. Außerdem fanden sich in der Kiste Dutzende alte Zeitungen in denen die Objekte zum Schutz eingewickelt waren. Unter den Steinobjekten lag, als Polsterung, eine Schicht aus Zeitungspapier darunter wiederum eine Schicht aus Holzspänen und am Boden der Kiste eine Lage aus Steinwolle.

 

Während sich Michael mit der Dokumentation und dem Entschlüsseln der historischen Zeitungen beschäftigte, habe ich begonnen die bereits mit Inventarnummern versehenen Steinartefakte nach Nummern aufsteigend zu sortieren. Das war teilweise nicht ganz einfach, da manche Inventarnummern fehlten und andere doppelt vergeben wurden.

Mit Hilfe der Steinzeitspezialistin des Hauses, Dr. Caroline Posch, habe ich alle Artefakte nach Art bestimmt. Da gab es viele Abschläge, Trümmerstücke und Klingen in der Kiste, wobei wir festgestellt haben das auch einige „normale Steine“ mit inventarisiert wurden. Die Inventarnummern und Arten der Steinartefakte wurden in eine Excel-Liste übertragen.

Bei dieser Arbeit habe ich gelernt, dass es viele verschiedene Steinartefakte mit unterschiedlichen Merkmalen und Bearbeitungsspuren gibt, die durch den Herstellungsprozess entstehen. Die Menschen in der Steinzeit haben zuerst durch gezielte Schläge auf einen Stein einen Kern hergestellt, die dabei entstehenden Objekte heißen Abschläge.

 

Einen Abschlag kann man durch verschiedene Merkmale erkennen. Etwa durch einen Impactpunkt, also der Punkt auf den der Schlag des Steinzeitmenschen auf den Kern auftraf. Man unterscheidet zwei Arten von Schlagspuren: Bei der einen sieht man einen klaren Impactpunkt in Form eines Schlagauges, von dem aus sich ein Kegel an das untere Ende des Objektes ausdehnt. Am Ende des Kegels kann man eine Verdickung (den so genannten Bulbus) beobachten, die durch die Verdichtung des Materials beim Abschlagen entstanden ist. Die andere Form des Abschlagens ist, wenn man mit einem Knochen oder länglichen Stein seitlich auf das Rohmaterial schlägt. Bei dieser Art gibt es keinen Kegel, sondern es entsteht eine so genannte Lippe. Das erkennt man an einem kleinen scharfkantigen Grad und daran, dass das Objekt keinen Kegel, aber einen Bulbus ausweist. Ein Abschlag ist nicht nur ein Rest oder Abfallprodukt, sondern kann auch durch seine scharfen Kanten als Werkzeug verwendet werden.

 

Wenn man durch Abschlagen einen Kern in seine Grundform gebracht hat, kann man anfangen Klingen abzuschlagen. Eine Klinge ist im Prinzip auch nur ein Abschlag. Allerdings hat eine Klinge regelmäßige, fast parallele Kanten und ist mindestens doppelt so lang wie breit. Klingen konnten entweder zum Schneiden von Dingen wie Leder oder zum Abtrennen von Fleisch verwendet werden. Man kann Klingen allerdings auch als Grundform für andere Objekte verwenden.

 

In der von mir bearbeiteten Kiste aus der Grabung in Willendorf II haben wir auch einen 30.000 Jahre alten Stichel gefunden. Er wurde wahrscheinlich aus einer Klinge durch Retuschen und zwei gezielte Stichelschläge hergestellt. Eine Retusche ist das gezielte Abknipsen von kleinen Steinfragmenten, wodurch eine spezielle Form und Funktion erzeugt werden kann. Mit einem Stichel kann man in harte Materialien ritzen, wie in trockenen Knochen und Holz, aber auch Stein, um diese zu bearbeiten oder mit Ritzungen zu verzieren.

 

In der Kiste haben wir auch Kerne gefunden, die zu klein oder ungeeignet für eine weitere Bearbeitung wären. Ungeeignet können die Kerne zum Beispiel durch Angelbrüche werden. Angelbrüche entstehen dann, wenn nicht genug Kraft aufgewendet wurde, um die Klinge oder den Abschlag abzutrennen. Dadurch bleibt der Schlag mehr oder weniger stecken und es entsteht eine Art Zacke. Aber was ist das Problem mit Angelbrüchen? Für die Klinge ist ein Angelbruch nicht weiter schlimm, außer dass sie etwas kürzer ist. Allerdings für die Weiterverarbeitung des Kerns ist es ungünstig da man, um eine weitere Klinge abzuschlagen, vorher viel wertvolles Material entfernen muss, da man eine Nase am Ende des Kerns hat und diese stört, da auch alle anderen Abschläge an dieser Nase stecken bleiben würden.

 

Wie ihr seht habe ich mich in Steinschlagtechniken richtig reingetigert. Ich war schon vorher sehr an der Altsteinzeit interessiert. Jetzt hatte ich die Werkzeuge der Menschen sogar selber in der Hand. Auch wenn das Sortieren der Fundstücke anstrengend und mühsam war, hat sich das Ganze also für mich gelohnt.

Die von mir sortierten Steinartefakte sollen nun in den Tiefspeicher des Naturhistorischen Museums eingeordnet werden, damit man sie auf Anhieb findet, wenn man sie braucht und nicht vorher die alte Kiste 40 durchwühlen muss. Bei dem heißen Wetter ist so eine Arbeit im kühlen Museumskeller fast schon eine kleine Belohnung.

 

Wem das jetzt etwas zu technisch war und sich unter meinen Beschreibungen wenig zum Bewegungsablauf beim Steinschlagen vorstellen kann, findet hier ein paar interessante Videos dazu:

Basic of flintknapping

Flintfestival Andreas: Grinding axes and flintknapping european style

Flint Knapping a spear head from English Flint with Will Lord

Anton Bernotat, 16 Jahre, geht in das Chiemgau Gymnasium Traunstein in Bayern. Er interessiert sich sehr für Archäologie und die Steinzeit. Darum hat er im Sommer 2022 ein Praktikum im Kuratorium Pfahlbauten in Wien gemacht. 

Expeditionskiste mit den Funden aus Willendorf II Schicht 9.
Abschlag von einem Kern mit Inventarnummer.
Die Steinartefakte aus Willendorf II Schicht 9.
Anton beim Erstellen der Excel-Liste mit Caroline.
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