Ein Blick durchs Mikroskop in die Steinzeit
Über 5000 Jahre alte, winzige Samen, Pflanzenreste und sogar Tierdung aus dem Attersee? Darum geht es in diesem Blogbeitrag. Im "Schlamm" der neolithischen Pfahlbausiedlung von Seewalchen stecken jede Menge Hinweise darauf, wie die Menschen früher am See gelebt haben. Kommt mit auf eine kleine Zeitreise in die Welt der Archäobotanik!
Ein Blick durchs Mikroskop in die Steinzeit
Wir möchten euch heute einen Einblick in die Pflanzenwelt der Pfahlbauer geben. Ich bin Thorsten Jakobitsch, vom Österreichischen Archäologischen Institut, und arbeite seit 2019 mit botanischen Resten aus den Pfahlbauten, die im Forschungsprojekt Zeitensprung ausgegraben wurden. Derzeit hilft mir eine Kollegin aus: Ambra Wohlmuth, Studentin an der Uni Wien - Institut der UHA. Sie wird zu dem Thema eine Bachelorarbeit verfassen.
Was machen wir genau? Unser Forschungsgebiet nennt sich „Archäobotanik“. Die Archäobotanik wurde im Blog schon vorgestellt. Nochmals kurz zur Erinnerung: Wir analysieren Pflanzenreste, die bei den archäologischen Ausgrabungen gefunden werden, und rekonstruieren damit Ernährung, Landwirtschaft und Umwelt. Die Pfahlbauten bieten uns aufgrund der besonders guten Erhaltung von Pflanzenresten im Seeuferschlamm eine Fülle an pflanzlichen Resten: Reste von Kulturpflanzen, wie zum Beispiel Getreidedrusch, Samen und Früchte von Wildpflanzen, Zweige, Blätter und Knospen, Holzreste aller Art, Moose, und sogar Insektenreste. Ganz spannend ist auch der Dung von Ziegen, Schafen und Kühen der sich erhalten hat, denn daraus lässt sich auch vieles „lesen“. Wie in Detektivarbeit versuchen wir aus den hunderten, winzigen Fragmenten wieder ein Gesamtbild zusammenzubauen.
Ambra Wohlmuth bei der Arbeit am Mikroskop.
Ambra arbeitet sich gerade durch eine Probe aus der Seeufersiedlung Seewalchen am Nordufer des Attersees. Diese Probe wurde von den Archäologen bei ihren Tauchgängen aus dem Sediment der Seeufersiedlung genommen. Die Probe besteht aus circa 100 Millilitern Sediment, und darin befinden sich tausende Pflanzen- und Insektenreste. Ambra wird euch jetzt erzählen, was sie bisher alles entdeckt hat:
„Da ich mit dieser Probe das erste Mal in die Welt der Archäobotanik eintauchen durfte, sieht für mich alles sehr spannend aus. Angefangen mit Tannen- und Fichtennadeln, die sich haufenweise finden lassen. Durch viele der Nadeln sind winzige Feinwurzeln gewachsen, was dafür spricht, dass der Bereich in dem die Probe entnommen wurde damals nicht oder zumindest nicht ganzjährig unter Wasser stand. Wir finden auch Moose und kleine Farnblätter: Moose könnten als Dichtungsmaterial in Häusern verwendet worden sein und Farnblätter (Adlerfarn) könnten als Stalleinstreu gedient haben.
Ausgrabung unter Wasser an der Fundstelle Seewalchen I im Attersee.
Schichtablagerung in Seewalchen I, Ausgrabung 2015.
Die größte – und wichtigste – Fundkategorie sind Samen. Viele der Samen stammen von Gräsern und Wiesen- und Weidenpflanzen (Süßgräser, Seggen, Hohlzahn, Kleine Braunelle, Wild-Karotte) und von Pflanzen, die in feuchten, wassernahen Gebieten wachsen (Wasserhanf, Ampfer, Milder Knöterich, Hahnenfuß). Manche Pflanzensamen deuten auch auf von Menschen bearbeitete Flächen wie Äcker oder Komposthaufen hin und sind sogenannte Stickstoffanzeiger (Floh-Knöterich, Brennnessel).
Getreidekörner bleiben im Wasser leider nicht erhalten. Dafür finden wir Ährchengabeln: Das sind Druschreste, die beim Dreschen vom Getreide als Abfall übrigbleiben. Für Pfahlbaufundstellen sind Einkorn und Emmer typisch. Seltener sind Druschreste von Gerste. Auch Leinsamen und Mohn lassen sich finden. Weitere spannende Pflanzen sind die Klette, deren Wurzel essbar ist. Oder auch die Mistel: Sie ist zwar giftig, ihr wird aber trotzdem eine Heilwirkung zugeschrieben, sie wurde früher als Tierfutter verwendet, und die Beeren können als Kleber genutzt werden.
Ein über 5000 Jahre altes Mistelblatt.
Ein frischer Mistelzweig.
Pflanzen erzählen nicht nur vom Aussehen der Landschaft, sondern auch davon, wie Menschen diese Landschaft verändert und genutzt haben. Samen von Himbeeren, Brombeeren und Kratzbeeren deuten auf Waldränder oder künstlich errichtete Hecken hin. Waldränder und freie Flächen könnten durch Waldrodung durch z.B. gezielte Brandsetzung entstanden sein, um Platz für Tierherden und Landwirtschaft zu schaffen. Außerdem enthalten die Proben auch Tierdung, welcher wiederrum viel darüber berichten kann, was die Tiere fraßen und ob sie sich im Freien oder in einem Stall aufgehalten haben.
Fast jede Pflanze, die wir finden, kann auf die eine oder andere Art verwendet werden und bietet Möglichkeiten für uns, das Leben der damaligen Menschen zu rekonstruieren. Man merkt, dass die meisten der Pflanzen zumindest zum Teil auch für Menschen essbar sind und durch ethnographische Quellen können wir vermuten, wie sie zubereitet wurden.“