Die Busenwand aus dem Bodensee
Heute haben unsere deutschen Kolleginnen und Kollegen vom UNESCO-Welterbe "Prähistorische Pfahlbauten um die Alpen" in Hemmenhofen das Ergebnis einer aufwendigen Restaurierung präsentiert: Der sieben Meter lange Bilderfries aus dem Bodensee mit seinen plastisch ausgearbeiteten weiblichen Brüsten gilt als die älteste figurale Wandmalerei nördlich der Alpen.
Nach langjähriger Detailarbeit wurden tausend Fragmente einer Wandmalerei mit dreidimensionalen, bemalten weiblichen Brüsten aus Lehm neu zusammengesetzt. Sie stammen aus der Pfahlbausiedlung Ludwigshafen-Seehalde und werden in der großen Landesausstellung zum Thema 4.000 Jahre Pfahlbauten in Baden-Württemberg als sieben Meter langes Wandbild präsentiert.
Die Busenwand klingt reißerisch - sie verdient aber als fantastisches Detail in der Entschlüsselung der Pfahlbaukulturen auch große Aufmerksamkeit. Denn hier erleben wir eines der ganz wenigen Beispiele, das besondere Aspekte von Kunst und Kultur in unserer Interpretation einer Pfahlbaugesellschaft in der Jungsteinzeit beitragen kann.
Mehr als 2000 Einzelfragmente wurden bereits in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts bei taucharchäologischen Untersuchungen durch das Landesamt für Denkmalpflege in Hemmenhofen geborgen. Neben den berühmten Lehmbrüsten wurden zahlreiche kleine Lehmstücke mit Verzierungen aus weißer Kalkfarbe gefunden, die nun zu einem einzigartigen Zeugnis neolithischer Wandmalerei zusammengesetzt wurden. Die Reste des Hauses konnten in den Zeitraum von 3867 bis 3861 v. Chr. (Pfyner Kultur) datiert werden.
Aufgrund von bemalten Eckstücken gehen die Forscherinnen und Forscher davon aus, dass es sich um eine Gestaltung im Inneren eines Hauses gehandelt haben muss. Noch konnten nicht alle vorhandenen Teile in das besonders herausfordernde Puzzle eingefügt werden. Die vorhandenen Fragmente erlauben aber bereits eine Rekonstruktion von mindestens sieben Frauenfiguren. Die kastenförmigen Figuren sind mit Kreuzbändern und Punkten verziert, und weisen die schon erwähnten nahezu lebensgroßen Brüste auf. Die Köpfe der Figuren sind sonnenförmig. Zwischen den Figuren befinden sich baumähnliche Motive.
Von den Forscherinnen und Forschern wird dieser einzigartige Fries derzeit als Teil eines Ahnenkultes gedeutet. Die weiblichen Figuren könnten demnach die Ahnfrauen einzelner Abstammungsreihen (Lineages) darstellen, während kleine Dreiecke im Wandgemälde die Menschen der Pfahlbausiedlungen symbolisieren könnten.
Mehr über diese fantastischen Neuigkeiten aus einem Pfahlbaudorf vor fast 6000 Jahren kann man sich in diesem Radiointerview mit Helmut Schlichtherle, dem Leiter der Dienststelle für Unterwasserarchäologie im Landesamt für Denkmalpflege, anhören.