13.04.2024 - 14:30

Die Ernährung der Pfahlbaubewohner:innen am Keutschacher See

Citizen Scientists in Völklingen an der Saar

9. Dezember 2015

Ich habe seit 20 Jahren mit Archäologie zu tun und fast ebenso lange mit Heimatvereinen und jenen Leuten, die man heute Citizen Scientists nennt. Den Begriff mag ich recht gerne, denn erstens erspart er mir das Gendern, das zwar wichtig ist, mir aber mit schöner Regelmäßigkeit die besten Texte zusammenhaut. Zweitens wirkt der Begriff „Heimat“ auf mich immer irgendwie emotional, nicht rational, was der „Heimatforschung“ für mein Empfinden automatisch die Objektivität und damit – da es ja um Forschung geht – auch die Qualität abspricht.

Mein erster Kontakt mit engagierten Bürgerinnen und Bürgern war im Jahr 2001 in Völklingen an der Saar, bei der Ausgrabung einer ehemaligen Kirche, die von einem Supermarkt überbaut werden sollte. Da ging es um Baugenehmigungen, die das Denkmalamt nicht hätten erteilen dürfen, um einen (in der Folge dann Ex-)Bürgermeister, der ein UNESCO-Welterbe als Schrotthaufen bezeichnet haben soll, und last but not least, um die Oma, auf deren Grab niemand Tiefkühlerbsen stehen haben wollte.

Ich bin wahnsinnig froh darüber, dass ich nicht zur Hochphase dieser Kommunikationskrise in das Projekt eingestiegen bin, aber als ich es dann 2002 als Grabungsleiterin übernommen habe, bewegte ich mich noch immer in einem äußerst sensiblen Kommunikationsumfeld und war noch immer mit Menschen aus der Umgebung konfrontiert, die ganz klar den Anspruch hatten, regelmäßig informiert zu werden. Die mir und allen anderen klar machten, dass dieses Denkmal auch oder vielmehr vor allem eigentlich ihnen gehört, und die mich und mein Team umfangreich unterstützen.

Ungezählt sind die Schubkarren an Aushub, die Paul Ganster auf der Grabung für uns siebte, die Plakate, die Irene von der Eltz-Hell in ihrer Druckerei für uns druckte, die Äpfel und Leckereien, die für die Mannschaft gebracht wurden, und auch die nützlichen Schriftquellen - Ergebnisse jahrelanger Recherchen -, die mir ohne jede Bedingung einfach in die Hand gedrückt wurden. Das ArchäologInnen-Schlaraffenland quasi! Erst viel später ist mir klar geworden, dass es für diesen Verein damals explizites Ziel gewesen sein muss, die Ausgrabung zu unterstützen. Das muss nicht zwingend so sein. Ein Heimatverein kann ja auch andere, ganz eigene Ziele verfolgen, die in seiner Satzung festgeschrieben werden, und denen er in der Folge verpflichtet ist. Das kann zum Beispiel sein, den Tourismus in der Region zu befördern oder das Wissen um die Heimatgeschichte insbesondere der jüngeren Vergangenheit zu verbreiten.

Natürlich habe ich es nicht nur so wie in Völklingen erlebt. Es gab während meiner Zeit als Grabungsleiterin im Saarland auch die Vereine, in denen Herr  X gegen Frau Y um den Vereinsvorsitz kämpfte. Das endete dann früher oder später in der Spaltung des Vereins, was manchmal gut war, weil die Mitglieder sich danach wieder auf ihr eigentliches Ziel konzentrierten und sich nicht länger nur mit sich selbst beschäftigten. Manchmal war es auch der Worst Case, wenn es nämlich das gesamte Engagement der Citizen Scientists dauerhaft lahmlegte, weil dieses Hick-Hack solange anhielt, bis sie alle Freude am Thema verloren hatten.

Es ist mir auch passiert, dass mein Kontakt zu Gemeinde und Verein von einer Schlüsselperson, die in beidem aktiv war, strategisch sehr geschickt abgeschnitten wurde, weil ich eigentlich nur als Alibi gedacht war: Die mit der Grabungsgenehmigung halt, damit man dann machen darf, was man will, ohne dass das Denkmalamt mosert. Hat ewig - und deutlich zu lange - gedauert, bis ich das erkannt habe. Oder der Alptraum der ArchäologInnen schlechthin: Ich hatte wirklich mal solche Menschenmassen in der Fläche, dass mir die BesucherInnen Befunde zertrampelt haben und ich nichts mehr dagegen tun konnte.

Unter allen Erlebnisse - positiven wie negativen - hat mich die Zusammenarbeit mit den Menschen in Völklingen am stärksten geprägt. Das liegt zum einen daran, dass ich dort hautnah miterleben durfte, was für eine enorme Bedeutung ein weitgehend unsichtbares Bodendenkmal für die Menschen vor Ort haben kann. Die kleine Kirche im Alten Brühl in Sichtweite des UNESCO-Welterbes Völklinger Hütte und inzwischen an einer eher unattraktiven Haupteinfahrtsroute zur Stadt hinter den Bahngleisen gelegen, war über Jahrhunderte der einzige Bestattungsplatz der Stadt und zentraler Ort in der Gemeinde gewesen. Dem wollten die Menschen in Völklingen Rechnung tragen. Es war ihnen wichtig, dass mit diesem Teil ihrer Geschichte anständig umgegangen wird.

Zum anderen hat mich diese Zusammenarbeit deshalb besonders geprägt, weil mich die Völklinger kontinuierlich zur Transparenz angehalten haben. Sie verlangten aktiv danach, regelmäßig informiert und in welcher Form auch immer eingebunden zu werden. Beides haben sie mir durch ihre freundliche und offene Art sehr leicht gemacht. Es tut mir noch heute leid, dass ich die archäologische Verantwortung für die kleine Kirche an der Saar mit ihren außergewöhnlichen Wöchnerinnenbestattungen an andere übergeben musste, als ich damals in die Schweiz ging.

Das Wichtigste aber, das ich von den Völklingern gelernt habe ist, dass es einfach nicht funktioniert, wenn wir nur "aussenden" wollen ohne zuzuhören. Eine wirklich gute Zusammenarbeit ist ohne Dialog nicht möglich. Gerade beim UNESCO-Werberbe der Prähistorischen Pfahlbauten und den vielen Menschen, die am Mondsee, am Attersee und am Keutschacher See von diesem Welterbe betroffen sind, ist das meiner Meinung nach unverzichtbar.

Carmen Löw ist Archäologin und Kommunikationsexpertin. Im Kuratorium Pfahlbauten kümmert sie sich unter anderem um die Redaktion des Pfahlbauten-Weblogs.

Einige der Mitglieder der Bürgerinitiative Alter Brühl haben aktiv auf der Ausgrabung mitgearbeitet. (Bild: Slg. Ehem. BI Alter Brühl Hell)
Einige der Mitglieder der Bürgerinitiative Alter Brühl haben aktiv auf der Ausgrabung mitgearbeitet. (Bild: Slg. Ehem. BI Alter Brühl Hell)
Am jährlichen öffentlichen Grabungsfest in Völklingen gab es Führungen und einen Kuchenstand. Jährlich erschien eine aktualisierte Informationsbroschüre zur Grabung. (Bild: Slg. Ehem. BI Alter Brühl Hell)
Am jährlichen öffentlichen Grabungsfest in Völklingen gab es Führungen und einen Kuchenstand. Jährlich erschien eine aktualisierte Informationsbroschüre zur Grabung. (Bild: Slg. Ehem. BI Alter Brühl Hell)
Andreas Hell, unserem damals jüngsten Helfer aus der Bürgerinitiative, ein herzliches Dankeschön für die Hilfe mit den Fotos zu diesem Beitrag. (Bild: Slg. Ehem. BI Alter Brühl Hell)
Andreas Hell, unserem damals jüngsten Helfer aus der Bürgerinitiative, ein herzliches Dankeschön für die Hilfe mit den Fotos zu diesem Beitrag. (Bild: Slg. Ehem. BI Alter Brühl Hell)
Führungen sollten nicht nur bei Forschungsgrabungen zum Standardprogramm gehören. Auch bei Notgrabungen und bauvorbereitenden Grabungen, wie zum Beispiel hier in Reinheim-Gersheim 2005, sind sie möglich. (Bild: Ausgrabung Reinheim-Gersheim 2005)
Führungen sollten nicht nur bei Forschungsgrabungen zum Standardprogramm gehören. Auch bei Notgrabungen und bauvorbereitenden Grabungen, wie zum Beispiel hier in Reinheim-Gersheim 2005, sind sie möglich. (Bild: Ausgrabung Reinheim-Gersheim 2005)
Die Zusammenarbeit zwischen Citizen Scientists und ArchäologInnen hat in Völklingen sehr gut funktioniert. (Bild: BI Alter Brühl)
Die Zusammenarbeit zwischen Citizen Scientists und ArchäologInnen hat in Völklingen sehr gut funktioniert. (Bild: BI Alter Brühl)
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